Seit 2011 ziert das folgende Gedicht Eugen Gomringers die Südfassade der Berliner Alice-Salomon-Hochschule (ASH):
avenidas
avenidas y floresflores
flores y mujeresavenidas
avenidas y mujeresavenidas y flores y mujeres y
un admirador
Der perfide Inhalt dieser wohlklingenden Zeilen blieb aufgrund der spanischen Chiffrierung lange Zeit unentdeckt. Ins Deutsche übersetzt offenbart sich dagegen der sexistische Gehalt sofort:
Alleen/Alleen und Blumen/Blumen/Blumen und Frauen/Alleen/Alleen und Frauen/Alleen und Blumen und Frauen und/ein Bewunderer.
Wem auch der deutsche Text keinen Grund zur Sorge liefert, dem sei geholfen. Im Jahr 2016 prangerte der AStA der ASH das allzu frauenfreundliche Gedicht wie folgt an:
Zwar beschreibt Gomringer in seinem Gedicht keineswegs Übergriffe oder sexualisierte Kommentare und doch erinnert es unangenehm daran, dass wir uns als Frauen* nicht in die Öffentlichkeit begeben können, ohne für unser körperliches „Frau*-Sein“ bewundert zu werden. Eine Bewunderung, die häufig unangenehm ist, die zu Angst vor Übergriffen und das konkrete Erleben solcher führt.
Die U-Bahn-Station Hellersdorf und der Alice-Salomon-Platz sind vor allem zu späterer Stunde sehr männlich dominierte Orte, an denen Frauen* sich nicht immer wohl fühlen können. Dieses Gedicht dabei anzuschauen wirkt wie eine Farce und eine Erinnerung daran, dass objektivierende und potentiell übergriffige und sexualisierende Blicke überall sein können.
Vor wenigen Tagen verkündete die ASH das Gedicht noch im Sommer diesen Jahres zu ersetzen. Die Überschrift dieser Pressemitteilung („Alice Salomon Hochschule Berlin entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade“) scheint eher ein Banause als ein Bewunderer formuliert zu haben. Sollte das Gedicht wirklich weichen müssen, so dürfte die einstige Rektorin der Hochschule dennoch Recht behalten. Die Strahlkraft des Kunstwerkes ist weit über den Bezirk hinaus gegangen … vorbei an Alleen, Blumen, Frauen und Bewunderern.
„Wir freuen uns sehr über diese bleibende Erinnerung an unseren Poetikpreisträger Eugen Gomringer und sind uns sicher, dass die Strahlkraft des Kunstwerkes weit über unsere Hochschule und den Bezirk Hellersdorf hinausgeht“ (Prof. Dr. Theda Borde, Rektorin der ASH Berlin.)
Weiterführendes:
ASH Berlin } Pressemitteilung: Alice Salomon Hochschule (Berlin) entscheidet sich für die Kunst auf ihrer Südfassade
Deutschlandfunk Kultur } Fazit! (mp3)
Tagesspiegel } Fassadenstreit in Berlin: Hochschule übermalt „avenidas“ mit anderem Gedicht
Welt } Berliner Hochschule übermalt angeblich sexistisches Gedicht
ZEIT } Streit um Gedicht: Diese Kunst soll weg
Deutschlandfunk Kultur } Kontroverse um Eugen Gomringers Gedicht – Kunstfreiheit versus Sexismusvorwurf
AStA ASH Berlin } http://www.asta.asfh-berlin.de/de/News/offener-brief-gegen-gedicht-an-der-hochschulfassade.html
30. März 2018 at 9:18
Mein Vorschlag für die Beschriftung der Fassade wäre:
„ANGRIFFSFLÄCHE“
Ich habe auch einen lyrischen Kommentar zu diesem Thema:
NEHMT ABSCHIED LEUTE
An einer Schule in Berlin
kam es zu diesem Entschluss,
dass ein Werk, das anzüglich erschien,
einem neuen weichen muss.
Ein Kurzgedicht von Gomringer
in den Fokus war gestellt,
weil einigen die Wortwahl dort
nicht wirklich gut gefällt.
„Avenidas y flores y mujeres
y un admirador“, so heißt der Vers,
und negativ zu deuten ihn,
ist doch beinah schon pervers.
Es scheiden sich die Geister nun,
bei der Frage, die sich stellt.
Doch leider gibt’s nichts mehr zu tun,
die Entscheidung ist gefällt.
Der Dichter wollte, dass es bleibt
und versteht es wirklich nicht,
dass man demnächst es überschreibt,
sein konkretes Kurzgedicht.
Und hätte man im Vorfeld schon
die Studentenschaft gefragt,
was die denn zur Gestaltung
ihrer Südfassade sagt,
so hätte man auch ohnedies
ein Ergebnis dann erreicht,
das nicht so radikal und mies
einer Ausradierung gleicht.
Das Mitsprachrecht, so fing es an,
das war früher nicht geglückt,
nur deshalb sind die Verse dann
in den Mittelpunkt gerückt.
Kurzum war jeder Nominativ
zum Akkusativ erklärt
und somit hat man sich massiv
darüber dann beschwert.
So hatte man ein leichtes Spiel
in der Studentenwelt,
zur Hetzjagd brauchte man nicht viel,
war bestens aufgestellt.
Es galt der Vorwurf dem Gedicht,
so hat man sich quergestellt,
sieht man der Wahrheit ins Gesicht,
fühlte man sich nur geprellt.
Es hat ein Mann der Poesie,
der so schöne Verse schreibt,
auf jeden Fall es sich verdient,
dass er unbescholten bleibt.
Absichtlich Worte falsch verstehn,
das ist nicht die feine Art,
mehr diplomatisch vorzugehn,
wäre besser angesagt.
Nehmt Abschied Leute von dem Werk
der konkreten Poesie
und von der Freiheit in der Kunst,
der AStA verurteilt sie.
Nun heißt es, ein Ersatz muss her,
doch was sollte das wohl sein?
Nach alldem dürfte das wohl schwer
noch zu entscheiden sein.
Kein Werk erscheint doch ganz neutral,
sieht man, was man sehen will,
die Folgen könnten sein fatal,
wird es um die Lyrik still…
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31. März 2018 at 18:25
Ich muss mich bezüglich meines vorigen Kommentars noch einmal korrigieren und meinen Vorschlag zur Beschriftung der Hochschulwand mit dem Wort „ANGRIFFSFLÄCHE“ zurücknehmen, da dieser eine nicht gewollte Interpretationsfreiheit zulässt.
Ich bezog mich mit diesem Begriff selbstverständlich auf den Angriff gegen die „Kunstfreiheit“. Mit extrem viel Phantasie könnte man mit dem Wort Angriff jedoch auch wieder Übergriffe an Frauen in Verbindung bringen. Und mit etwas bösem Willen könnte man mir dabei sogar noch eine Aufforderung zur Gewalt gegenüber Frauen unterstellen. (IRONIE)
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3. April 2018 at 23:30
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