Im Februar 2021 trat das von etwa 70 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gegründete „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ an die Öffentlichkeit. Nach wenigen Tagen hat der Unterstützerkreis die 100 überschritten. In deren Manifest heißt es:

Wir beobachten, dass die verfassungsrechtlich verbürgte Freiheit von Forschung und Lehre zunehmend unter moralischen und politischen Vorbehalt gestellt werden soll. Wir müssen vermehrt Versuche zur Kenntnis nehmen, der Freiheit von Forschung und Lehre wissenschaftsfremde Grenzen schon im Vorfeld der Schranken des geltenden Rechts zu setzen. Einzelne beanspruchen vor dem Hintergrund ihrer Weltanschauung und ihrer politischen Ziele, festlegen zu können, welche Fragestellungen, Themen und Argumente verwerflich sind. Damit wird der Versuch unternommen, Forschung und Lehre weltanschaulich zu normieren und politisch zu instrumentalisieren.

An gleicher Stelle werden die Ziele des Netzwerkes wie folgt beschrieben:

Hauptziel des Netzwerkes ist es, die Voraussetzungen freiheitlicher Forschung und Lehre an den Hochschulen zu verteidigen und zu stärken. Dazu wird das Netzwerk

  • allen Versuchen entgegenwirken, die wissenschaftliche Arbeit von Hochschulangehörigen einzuschränken. Grenzen dieser Freiheit sind ausschließlich Verfassung und Gesetz;
  • sich aktiv dafür einsetzen, dass intellektuelle Freiheit und wissenschaftlicher Pluralismus in Forschungsfragen, Forschungsansätzen und Forschungsmethoden als selbstverständlich gelten und dass die argumentative Auseinandersetzung mit anderen Ansätzen und Perspektiven stattfindet, auch und gerade, wenn sie inhaltlich nicht geteilt werden;
  • für eine Debattenkultur eintreten, in der alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Studierenden ihre Erkenntnisinteressen frei von Sorgen vor moralischer Diskreditierung, sozialer Ausgrenzung oder beruflicher Benachteiligung verfolgen und ihre Argumente in Debatten einbringen können. Wir bestehen darauf, dass Debatten von gegenseitigem Respekt geprägt sind und Ad-hominem-Argumente unterbleiben.

Zu Erlangung dieser Ziele sind verschiedene Aktivitäten angedacht wie die Beschreibung und Analyse von Gefährdungen, die Entwicklung von Gegenstrategien, das Fördern von neuen Debattenformaten sowie die Unterstützung in ihrer Freiheit beschränkter Wissenschafter.

Eine Auflistung entsprechender Fälle und bedrängter Wissenschaftler ist das größte Manko der Initiative. Bisher ist hierfür nur ein „Platzhalter“ auf der Seite des Netzwerkes eingerichtet. So fiel es Kritikern leicht die angeprangerte Ausgrenzungsrealität an deutschen Universitäten als Unfug abzutun oder als Einzelfälle zu verharmlosen. Dies wurde im Nachgang der Gründung teils geheilt, indem von verschiedenen Unterstützern konkrete Fälle zusammengetragen wurden. Es wäre darüberhinaus nützlich diese Fälle auf den Seiten des Netzwerkes zu dokumentieren und kontinuierlich zu ergänzen, um die Relevanz der Vorwürfe aufzuzeigen. Ähnliche Listen mit gewissen Überschneidungspotential gäbe es beispielsweise auf cancelculture.de oder auf Seiten welche linke, rechte oder andersartig motivierte Straftaten dokumentieren. Seitens der Initiative für Toleranz und Zivilengagement werden seit Jahren die Straf- und Gewalttaten gegenüber Studenten und Studentenverbindungen dokumentiert. Angesichts der Häufigkeit kann allein dieses Phänomen nicht mehr als Einzelfall abgetan werden.

Das nun gegründete Netzwerk fokussiert sich gleichwohl auf Repressionen innerhalb des universitären Bereiches, wodurch eine entsprechende Auswahl selektiver ausfallen dürfte. Zudem sind die sichtbaren Fälle wohl nur die berühmte Spitze des Eisberges. Die Einengung findet größtenteils schon vorab durch Konformitätsdruck, Tabuisierung und nur notfalls durch offene Skandalisierung (#Shitstorm) statt. Um diese Schweigespirale zu durchbrechen und die Auswirkungen sichtbar zu machen, wäre es wohl angebracht diese näher zu erforschen. Ebenfalls könnte es möglich sein, eigene und ggf. anonyme Beschwerdewege zu implementieren, welche versteckte Repressionen offen legen. Auf jeden Fall steht eine Debatte an, was Wissenschaft darf und was nicht. Diese – noch zaghafte – Debatte ist der erste Erfolg des Netzwerkes Wissenschaftsfreiheit.

Weiterführendes:

Netzwerk Wissenschaftsfreiheit } Manifest

CancelCulture.de } Cancel Culture im deutschsprachigen Raum

IfTuZ } Initiative für Toleranz und Zivilengagement

Welt.de }  Cancel Culture – Wissenschaftler gründen „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“

neues Deutschland } Ernst zu nehmender Popanz

Merkur } Bedrohte Wissenschaftsfreiheit – Alles nur -Einzelfälle

Tagespost } Netzwerk Wissenschaftsfreiheit: Wehret den Anfängen!

Radio Today } Podcast: Ist die Wissenschaftsfreiheit in Gefahr (Sandra Kostner vs. Andreas Frings)